Eschweiler/Stolberg: Kandidaten diskutieren Arbeit und Armut

Eschweiler/Stolberg : Kandidaten diskutieren Arbeit und Armut

Was kann man gegen die hohe Arbeitslosigkeit in Eschweiler und Stolberg unternehmen? Wie lange soll das Kraftwerk in Weisweiler noch am Netz bleiben? Und was konkret wollen die Parteien auf Landesebene tun, um die Armut in der Städteregion zu bekämpfen?

Bei der Podiumsdiskussion im Vorfeld der Landtagswahl am 14. Mai haben die beiden Moderatoren René Benden und Patrick Nowicki vom Zeitungsverlag Aachen den Direktkandidaten des Wahlkreises Aachen IV am Mittwochabend auf den Zahn gefühlt. Lukas Benner (Bündnis 90/Die Grünen), Albert Borchardt (Die Linke), Dieter Brockmann (ÖDP), Anke Göbbels (FDP), Stefan Kämmerling (SPD) und Axel Wirtz (CDU) waren der Einladung ins Museum Zinkhütter Hof gefolgt.

 Gespannt verfolgten die Zuschauer im Zinkhütter Hof die Podiumsdiskussion, bevor sie im Anschluss selbst ihre Fragen an die Kandidaten stellen konnten.
Gespannt verfolgten die Zuschauer im Zinkhütter Hof die Podiumsdiskussion, bevor sie im Anschluss selbst ihre Fragen an die Kandidaten stellen konnten.

Ziemlich allein stand Lukas Benner mit dem Vorstoß seiner Partei, über den Ausstieg aus der Braunkohle und die Abschaltung des Kraftwerks in Weisweiler bis 2020 nachzudenken: „Natürlich sollen die 1500 Mitarbeiter im Kraftwerk und im Braunkohleabbau nicht darunter leiden.“ Aber unter dem Klimawandel würden alle Menschen leiden.

Kräftigen Gegenwind bekam er von Axel Wirtz, der meinte, dass der Ausstieg bis 2030 zu schaffen sei, indem man Arbeitsplätze im Bereich moderner Technologien schaffe. „Wir müssen aber das Vereinbarte umsetzen“, forderte er. Einen Ausstieg zehn Jahre früher als geplant zu fordern verunsichere die Menschen. Stefan Kämmerling mahnte an, dass es für die regenerativen Energien noch keine Speichermöglichkeiten gebe und der schnelle Ausstieg aus der Kohle deshalb nicht möglich sei.

„Wer das den Leuten verspricht, macht keine seriöse Politik.“ Albert Borchardt gab Lukas Benner „im Prinzip“ recht, erklärte aber, dass die Entscheidung über die Schließung des Kraftwerks beim Konzern RWE liege, nicht bei der Politik. Darüberhinaus ginge die Zeit bis 2030 „irrsinnig schnell“ vorbei. Um die Menschen auf die wegfallenden Arbeitsplätze vorzubereiten, müsse man sich um das Thema Ausbildung kümmern. „Denn Ausbildung ist der Schlüssel.“

Anke Göbbels stimmte ihrerseits dem Linken-Politiker Borchardt zu: RWE sei ein großer Ausbildungsbetrieb für die Region, den es in Zukunft in dieser Form wohl nicht mehr geben werde. „Der Strukturwandel wird kommen, ob wir wollen oder nicht“, konstatierte Dieter Brockmann. Man solle RWE dazu bringen, in erneuerbare Energien zu investieren — und in diesem Bereich neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Faktoren für Neuansiedlungen

Damit sich mehr Unternehmen in der Region ansiedeln und vor Ort Arbeitsplätze schaffen, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Kann hier die Politik etwas tun, oder ist es letztlich Zufall, wenn ein Betrieb in der Städteregion seine neue Heimat findet? Zumindest seien genügend Brachflächen in der Region vorhanden, erklärte Axel Wirtz, gerade in Stolberg und Eschweiler stünden noch Gewerbe- und Industriearale zur Verfügung.

Lukas Benner aus Roetgen entgegnete, dass die Standortfaktoren der einzelnen Kommunen sehr unterschiedlich seien. „In Roetgen beispielsweise gibt es nicht mehr so viele Flächen, die für Gewerbe in Frage kommen.“ Anke Göbbels betonte, es sei keinesfalls Zufall, wo sich Betriebe ansiedeln. Ein Grafikbüro beispielsweise hätte ein großes Interesse daran, wenn die Druckerei in der Nähe sei und nicht in Hamburg. „Die Politik muss Netzwerke aufbauen und Dialoge fördern“, lautete Albert Borchardts Vorschlag zur Unternehmensförderung.

Dieter Brockmann hingegen forderte, Start-ups besser zu unterstützen: „Es gibt viele Leute mit guten Ideen, denen aber das Eigenkapital für eine Firmengründung fehlt“, sagte er. Die Politik müsse mehr Leuten den Weg in die Selbstständigkeit ebnen. Es komme für Unternehmen nicht nur auf Faktoren wie Gewerbesteuer und Anschluss an die Autobahn an, warf Stefan Kämmerling ein, „die Firmen wollen, um gutes Personal gewinnen zu können, über die weichen Standortfaktoren Bescheid wissen.“

Dazu gehöre eine attraktive Innenstadt genauso wie eine gute Auswahl an Schulen für die Kinder dieser Arbeitnehmer. Dort habe die Landesregierung viel Geld in die Hand genommen, führte Kämmerling aus. Allein nach Stolberg seien über den Stärkungspakt 37 Millionen Euro geflossen.

Kritik am Stärkungspakt kam von Axel Wirtz: Dass Fördermittel in die Region fließen, liege weniger an der Landesregierung als an der Stolberger Stadtspitze, die erfolgreich Fördermittel abrufe. Und der Stärkungsparkt sei deshalb falsch, weil die Förderung von Stolberg auf Kosten von Kommunen wie Roetgen ginge, die ebenfalls finanzielle Schwierigkeiten hätten.

Das „süße Gift“ der Fördermittel

Albert Borchardt hält Fördermittel generell für ein „süßes Gift“: Denn dafür, dass die Kommune Stolberg viel Geld bekommen habe, hätten die Bürger tief in die Tasche greifen müssen. „Die Abgaben in Stolberg sind höher als in vielen anderen Kommunen.“ Lukas Benner verteidigte den Stärkungspakt: Es befänden sich landesweit nur noch acht Kommunen im Nothaushalt. „Das ist ein Erfolg, das darf man auch so sagen!“

Dass man bei den vielen Fördertöpfen auf EU-, Bundes- und Länderebene den Überblick verliere, kritisierte Anke Göbbels. Dass die Förderung oft nicht langfristig sei, bemängelte Dieter Brockmann.

Für mehr Bildung sind alle

Weitgehender Konsens herrschte in der Frage, dass man etwas gegen die hohe Kinderarmut in der Region unternehmen müsse. „Ich habe großen Respekt vor der Arbeit, die die Tafeln bei uns leisten“, sagte Lukas Benner. Dass allein im Raum Monschau 600 Menschen Kunden der Tafel sind, habe ihn schockiert.

Weil Bildung der Schlüssel sei, um einen Beruf zu finden, müsse die Politik darauf achten, dass unter anderem das Studium weiter kostenlos bleibe. Dass Bildung unabdingbar ist, um die Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Armut zu bekämpfen, sagten auch Axel Wirtz und Anke Göbbels. Dieter Brockmann forderte für die jungen Menschen in der Region eine „Ausbildungsgarantie“, denn ohne Ausbildung laufe nichts. Albert Borchardt erklärte, dass Bildung allein nicht reiche. „Wir müssen uns ein ganzes Milieu anschauen“, betonte er.

Kinder bräuchten nicht nur eine gute Schule, sondern auch ein Zuhause, das einen geeigneten Platz zum Lernen anbietet. „Ich habe keine Erklärung dafür, warum die Kinderarmut in unserer Region so hoch ist“, sagte Stefan Kämmerling, der betonte, dass die Standortfaktoren dafür sprächen, dass die Städteregion großes Potenzial habe. Er warb für das Modellprojekt des Landes „Kein Kind zurücklassen“, bei dem es darum geht, Armut durch Präventionsarbeit zu verhindern.

„Die Wahl am 14. Mai ist richtungsweisend“, hatte Moderator René Benden zu Beginn der Veranstaltung erklärt. Es sei nicht egal, an welcher Stelle man sein Kreuz mache. Das hätten unter anderem die Wahlen in den Nachbarstaaten deutlich gemacht.