Aachen : Jeder kennt noch den Tafeldienst
Aachen Kurzes mechanisches Klicken des Kippschalters, ein Aufpiepen des interaktiven Beamers und schon erstrahlt die Stahl-Emaille-Legierung des Whiteboards durch die Projektion. Der ergraute Herr mit Brille und purpurfarbenem Pullover greift nach dem Infrarotstift und zeichnet blitzschnell an die interaktive Tafel.
Der Herr mit Brille, Günter Kowalewsky (54), gelernter Radio- und Fernsehtechniker, kennt es auch anders: quietschende Kreide auf grünem Grund, Hustenanfälle beim Ausklopfen des Schwammes, wenn der Tafeldienst anstand. Das sind Schulerinnerungen, die ihm, dem Technikexperten des Euregionalen Medienzentrums der Stadt und Städteregion Aachen, im Gedächtnis geblieben sind.
Melancholie schwingt mit, wenn die Leiterin des Medienzentrums, Lara Langfort-Riepe, die Zeitreise im historischen Gebäude am Blücherplatz beginnt: Alte, leicht verstaubte Medienkoffer der Stadtbildstelle stehen in einem Raum, wo einst Schulfilme auf 16mm-Filmrollen für die Lehrer eingepackt wurden. Heute dienen die Koffer zum Transport von Beamer und DVD.
So schön das Rattern eines 16mm-Filmprojektors oder das Spulgeräusch der Videokassette für manch einen Lehrer auch klingen mag — es gibt einen guten Grund, warum Frau Langfort-Riepes Fingerspitzen voller Staub sind, als sie einen der Lederkoffer wieder zurück ins Regal stellt: „Videorekorder an Schulen sterben aus, die werden nur noch selten genutzt, DVDs schon eher.“ Ihr Kollege Johannes Klas, Lehrer und Medienberater im Medienzentrum, ergänzt: „Über ‚Edmond‘ lassen sich Filme und weiteres Unterrichtsmaterial für alle Lehrerinnen und Lehrer kostenlos downloaden.“ Dieses Angebot werde von Schulen mittlerweile gerne genutzt. Die Inhalte werden stetig erweitert.
„Edmond“, das steht für Elektronische Distribution von Medien On Demand. Dahinter steckt ein Service, den jedes Medienzentrum Nordrhein-Westfalens seinen Schulen anbietet und mit Inhalten füttert. Doch wie bekomme ich den Mitt-Fünfziger-Lehrer dazu, sich mit Video on Demand anzufreunden, wenn er sich vielleicht auch privat mit Netflix, Maxdome oder Amazon Prime schwer tut und neue Technik eher verteufelt?
Herr Kowalewsky, der Mann im purpurnen Pullover, schreitet von der Tafel aus Stahl-Emaille zum PC am anderen Ende des Raumes und fährt in hoch. Ein Bild erscheint auf einem so genannten Smart-board. Ein Mausklick hier, ein Fingerwisch am gigantischen Tablet dort und schon erscheint die Anmelde-Seite von „Edmond“. Günter Kowalewsky ist die leibhaftige Schnittstelle zwischen Alt und Neu, der McGywer des Medienzentrums. Seit 32 Jahren ist er Medientechniker, der Mann, dem die Schulen vertrauen. Er repariert ihre audiovisuellen Geräte wie Overheadprojektoren, Beamer und Beschallungsanlagen. Und er berät sie bei der Beschaffung und Installation neuer audiovisueller Geräten und interaktiver Systeme.
In seiner Werkstatt, zwei Räume neben dem hypermodernen Konferenzraum, hat er auch Ersatzteile für 16mm-Filmprojektoren akribisch im Schränkchen sortiert. Doch die Teile werden langsam porös, die im Plastik enthaltenen Weichmacher zerstören nach über 30 Jahren sich selbst.
Auf der Werkbank zwischen Oszilloskop, Bild- und Tongenerator und Regeltrenntransformator liegt ein Objekt, das den Medienwagen abgelöst hat: ein aufgeschraubter Beamer. „Es ist ein Gerücht, dass Geräte früher langlebiger waren“, sagt Herr Kowalewsky. „Ganz im Gegenteil! Früher musste ich wesentlich öfter defekte Geräte reparieren. Die Bauteile und Geräte sind stabiler geworden. Es ist das physische Fehlverhalten im Umgang mit technischen Geräten, das zu verfrühtem Verschleiß und Defekten führt“, sagt der Techniker des Medienzentrums. Er kramt sein Smartphone aus der Jeans heraus und demonstriert, wie Leute mit Gewalt versuchen das Ladekabel anzustecken.
Im Medienzentrum weiß man, was Frustration im Lehreralltag auslöst und dass diese die digitalen Medien im Unterricht lahmlegt. Soweit muss es aber nicht kommen, finden die Medienexperten und sind als Helfer zur Stelle. Auch Günter Kowalewsky. „Es ist wichtig, das richtige interaktive System für jede Schule zu finden“, sagt er und ist somit nicht nur medienhistorischer Techniker, sondern auch Ermittler in der Frage, welche Technik nach Würselen, Aachen oder Monschau passt. Und so finden Schulen und Lehrer das heraus, erklärt Lara Langfort-Riepe: „Zunächst einmal besuchen uns die verantwortlichen Lehrkräfte einer Schule im Medienzentrum. Hier können wir die unterschiedlichen Systeme zeigen und dabei auf besondere Anforderungen einer Schule eingehen.“ Die Lehrer können die Geräte selbst ausprobieren und dann beurteilen, welche Technik für sie in Frage kommt.
Wenn die Entscheidung für ein System getroffen wurde, fährt Herr Kowalewsky zur Schule und guckt, wie und wo die Technik installiert werden kann. „Nach der Installation durch eine Firma nehme ich die technische Abnahme vor und weise das Kollegium in die neue Technik ein“, sagt er und fügt obligatorisch hinzu: „Darüber hinaus stehe ich jederzeit für Fragen zur Technik zur Verfügung.“ Die ständigen Ausreden von falscher Verkabelung und Widerspenstigkeit des Geräts kann der technikbegeisterte Kowalewsky allerdings nicht nachvollziehen. „Wer den Bogen einmal raushat, dem eröffnen sich mit interaktiven Systemen gigantische Möglichkeiten.“
Manchmal, da kommt auch Günter Kowalewsky nicht ganz klar mit der Technik. Das Smartboard reagiert nicht präzise genug. Das Anklicken des Browser-Icons gelingt nicht. „Der muss wohl wieder kalibriert werden“, sagt der Techniker dann trocken und muss sich selbst eingestehen, dass einer Tafel so etwas nicht passieren würde. Aber diese kann auch nichts weiter als schriftlich festhalten. „Alles hat seine Daseinsberechtigung“, sagt Kowalewsky. Es gelte dabei das Primat: Technik muss der Pädagogik folgen und nicht umgekehrt.
Oder wie Lara Langfort-Riepe es formuliert: „Jedes Medium muss gewinnbringend in den Unterricht eingebracht werden.“ Ihr Kollege Johannes Klas erlebt dies im Schulalltag auch: „Kreidetafel und Smartboard werden beide noch in Schulen genutzt — je nach Anforderungen und Lernzielen. Es zählt daher das Zusammenspiel von traditionellen und neuen Medien.“
Irgendwann ist auch mal die Batterie des Infrarot-Stiftes alle und kein Ersatz parat. Dann ist jeder Lehrer erleichtert, anstelle von Kreide zum abwaschbaren Stift zu greifen und dennoch unartige Schüler zum Tafeldienst am Whiteboard verdonnern zu können.