Heinsberg : Historische Spur bei Sanierung der Stadtmauer
Heinsberg Seit einigen Wochen weckt ein Bauzaun an der Nordseite der Kirche Sankt Gangolf, und das was dahinter geschieht, die Neugier der Kirchenbesucher.
Hier stieß man bei den Arbeiten zur Sanierung der örtlichen, aus dem 16. Jahrhundert stammenden Stadtmauer zunächst auf menschliche Skelette und in zwei Metern Tiefe auf die Fundamente des dem Chorherrenstift gehörenden so genannten Kellnereigebäudes, das 1858 abgebrochen wurde mitsamt einem davor gelegenen Wohnhaus.
Das auf alten Stadtansichten erkennbare Gebäude mit dem schönen Treppengiebel diente als Zehntscheune, im Volksmund „Tentschüer” genannt, in welchem die in Naturalien zu liefernden Pachterträge des Stiftes gelagert wurden. Und diese waren nicht gering. Das Kanonikerstift besaß 1795 selbst 559 Morgen an selbstbewirtschaftetem Land und bezog dazu den Zehnten von 9551 Morgen Pachtland.
Kellner als Verwalter
Das Vermögen des Stiftes wurde verwaltet von einem erstmals 1312 urkundlich erwähnten Kellner, der auf Lebenszeit angestellt war. Er erhielt im Jahr 24 Paar Korn (ein Paar Korn war je ein Malter Roggen und Hafer. Ein Malter betrug etwa 125 Liter) und dazu eine Karre Heu für sein Pferd. Dem Kellner zur Seite stand ein Buschkommissarius zur Verwaltung der Kapitelswälder.
Der Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg beurkundete im Jahre 1170, dass seine Großmutter Oda, die Gemahlin und Witwe des Herrn Goswin I. von Heinsberg auf ihrer Burg ein Kanonikerstift zu Ehren des heiligen Gangolfus „um ihres und ihrer Eltern Seelenheils willen” errichtet habe und die Kirche in der Burg, „mit Gesinde, Äckern, Zehnten aus dem Eigentum ausgestattet, der Verherrlichung Gottes dargebracht hat”.
Als Stiftskirche für die zunächst auf acht beschränkten Chorherren diente bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts die Burgkapelle. Es war ein so genanntes Kollegiatstift, ein Zusammenleben von Geistlichen ohne Gelübde, aber mit vorgeschriebenen Amtspflichten.
Jedem Geistlichen wurde mit der Würde eines Stiftsherren eine Pfründe oder Präbende, meist in Gestalt der Einkünfte von Land- und Hausbesitz, zugeteilt. Um 1250 belief sich eine Priesterpfründe auf 44 Paar Korn.
Das folgenreichste und für die weitere Entwicklung des Gangolfusstiftes richtungweisende Ereignis war die Inkorporation der Heinsberger Pfarrkirche im Jahre 1255 unter Einschluss der Filialkirchen Kirchhoven, Rurkempen und Waldenrath. Weitere Kirchen folgten. Von ihnen erhielt das Stift den Großen Zehnten. Die Zahl der Stiftsherren hatte sich mittlerweile auf 14 erhöht, eine Zahl, die bis zur Auflösung des Stiftes durch die Franzosen beibehalten wurde.
Vergünstigungen
Der Landesherr garantierte dem Stift eine Reihe von Vergünstigungen wie die Befreiung von allen denkbaren Steuern. Damit war die so genannte Stiftsimmunität geschaffen, durch welche das Stift als souveräne Macht seine eigenen Hoheitsrechte ausübte.
Der Immunitätsbezirk umfasste den heutigen Kirchberg und den oberen Teil der Hochstraße vom heutigen Torbogen bis zum ehemaligen Feldtor. Das große Lennartzsche Haus am Fuße des Burgberges war das Kapitelhaus und die gegenüber liegende Propstei die Wohnung des Stiftsdechanten.
Die Stifsherren hatten das Anrecht auf einen Begräbnisplatz in der Kirche. Dieses Recht stand auch Standespersonen und angesehenen Bürgern zu. Mit der Grablege in der Kirche war vielfach eine Stiftung verbunden. Bei in den 50er Jahren durchgeführten Grabungen wurden in der Kirche 198 Grablegungen festgestellt, von denen 30 mit dem Kopf nach Osten bestattet waren, was auf Gräber von Priestern hinwies.
Durch einen Erlass des Landesherren von 1784 wurden Begräbnisse in Kirchen nur noch in zugemauerten Gewölben erlaubt mit Hinweis auf die „aus den Toden Gräbern aufsteigenden Ausdünstungen” und deren Folgen für die Gesundheit der Kirchenbesucher. Das Chor von St. Gangolf blieb dem Gottesdienst der Stiftsherren vorbehalten.
Ursprünglich war für den Pfarrgottesdienst das Mittelschiff reserviert. Später stand dafür aber nur das südliche Seitenschiff zur Verfügung. Auch der Friedhof lag ursprünglich an der Südseite der Kirche. Nach Abbruch der Zehntscheune wurde der nun frei gewordene Raum dem Friedhof zugefügt. Da er bald zu klein wurde, legte man einen neuen Friedhof an der Linderner Straße an und kurz nach der Jahrhundertwende den heutigen Friedhof an der Geilenkirchener Straße.