Kreis Heinsberg : Freie Grundschule im Kreis Heinsberg geplant
Kreis Heinsberg Es gab da diesen einen Moment, als Birgdens angehende Schulgründer zu Besuch in Wülfrath waren. Zwei Mädchen von vielleicht sieben oder acht Jahren waren gerade mit Lernen beschäftigt, ein weiteres kam dazu und versuchte, seine Altersgenossen zum Spielen zu animieren. Immer wieder piekte es die anderen mit einem Stift in die Seite und forderte zu einem kleinen Fechtkampf heraus.
Wer annimmt, dass Lernen grundsätzlich etwas ist, zu dem man Kinder zwingen muss, und sei es auch nur mit sanftem Druck, der geht nun womöglich davon aus, dass Stifte und Papier liegen blieben und schon nach kurzer Zeit wild herumgetollt wurde. Doch so kam es nicht. Am Ende der kurzen Szene war die Herausfordererin entwaffnet, alle drei Kinder beschäftigten sich mit dem Lernmaterial. Das erschien in diesem Moment offenbar wichtiger und interessanter als Spielen.
20 Kinder, zwei Lehrkräfte
Bei den vier Besuchern, die die kurze Szene beobachteten, handelt es sich um Kristina und Marlon Dahlmanns aus Gangelt sowie Katrin und Markus Salden aus Birgden. Sie sind Vorstandsmitglieder einer Gründerinitiative, die im Kreis Heinsberg eine Freie Grundschule verwirklichen möchte. Was nach einem fernen Ziel klingen mag, könnte schon in erstaunlich kurzer Zeit Realität sein.
Die Prämisse vorangeschickt, dass noch nichts abschließend entschieden ist, lässt sich zur Stunde Folgendes sagen: Die Schule wird Amselschule heißen, wahrscheinlich in Gangelt liegen, zunächst aus nur einer Klasse mit 15 bis 20 Kindern bestehen und fürs Erste mit einer, höchstens zwei Lehrkräften auskommen.
So klein soll die Schule natürlich nicht bleiben, irgendwann könnte sie sogar bis zur gymnasialen Oberstufe führen. Momentan konzentrieren die Gründer sich erst einmal, ganz genau, aufs Gründen. An vielen Orten in Deutschland gibt es vergleichbare Projekte schon, Wülfrath, gelegen im Kreis Mettmann, ist da nur ein Beispiel.
Das Kind lernt, weil es lernen will
Aus der Anekdote um den abgeblasenen Fechtkampf lässt sich keine Faustregel ableiten, schon gar nicht ist sie, für sich genommen, wissenschaftlich belastbar. Sie ist aber doch signifikant, denn in ihr spiegelte sich eine Menge von dem wider, was die Anhänger von freien Schulen gut, richtig und zeitgemäß finden und an Regelschulen vermissen. Die Philosophie der zukünftigen Amselschule in einem Satz: Das Kind lernt, weil es will, und nicht, weil es muss.
Auch die Birgdener Schulgründer gehen nicht davon aus, dass das immer der Fall ist. Sie gehen sogar davon aus, dass einem Kind mal mehrere Tage lang der Sinn nicht nach Lernen stehen kann. „Das müssen auch die Eltern aushalten und akzeptieren“, stellt Katrin Salden klar. Übertragen auf die eingangs geschilderte Beobachtung aus Wülfrath bedeutet das: Wenn das Kind, das spielen will, sich durchsetzt gegen die Kinder, die bis gerade noch gelernt haben, ist das ganz natürlich und ebenso in Ordnung.
Die Amselschule wird informell seit Mai vergangenen Jahres vorangetrieben, die Gründung des Fördervereins folgte im Spätsommer. In seinem Dunstkreis bewegen sich mittlerweile um die 30 Familien. Und es ist schon viel unternommen worden: Die bürokratischen Hürden wurden ausgemessen und Gespräche mit Behörden, Politik und möglichen Investoren geführt. Vor allen Dingen aber wurde das vorhandene Interesse geprüft. „Es gibt Eltern, die ganz gezielt nach einer solchen Schule suchen“, sagt Kristina Dahlmanns. „Manche wären sogar bereit, dafür umzuziehen.“ Im August soll der Antrag bei der Bezirksregierung eingereicht werden.
Der Name Amsel ist ein Akronym und steht für „Aktives Miteinander von Schülern, Eltern und Lehrern“. Der Fokus liegt auf der Förderung von Kreativität, Eigenverantwortung und sozialer Interaktion. Lernen wird als Vorgang verstanden, der am besten auf der emotionalen Ebene funktioniert, also angetrieben von echtem Interesse. Der Lehrer sieht sich als Begleiter und Beobachter.
Keine Montessori-Schule
Wer ein wenig Basiskenntnis von Pädagogik mitbringt, fühlt sich womöglich an die Lehre Maria Montessoris und ihren Leitsatz „Hilf mir dabei, es selbst zu tun!“ erinnert, und das zurecht. Eine Montessori-Schule soll die Amselschule aber nicht sein, das Konzept ist tiefgreifender: Hausaufgaben gibt es ebenso wenig wie Schulfächer, Noten, schwere Tornister und eine strenge Unterteilung nach Altersgruppen.
Stattdessen wird auf thematische Lernräume, eine intensive Zusammenarbeit mit den Eltern und viel Basisdemokratie gesetzt. Elementar ist auch die Nutzung der Außenbereiche. Wird der Zeitplan eingehalten, könnte schon zum Schuljahr 2019/2020 zum ersten Mal der Schulgong erklingen. Im übertragenen Sinne, versteht sich, denn selbstverständlich gibt es auch keinen Gong.
Das Grundgefühl, das die Schulgründer trägt, ist positiv, es herrscht Aufbruchstimmung. Und das liegt maßgeblich an den aufgeschlossenen Reaktionen, die man bislang registriert hat. Es hat sich eine Dynamik ergeben, die wenig Raum für Skepsis lässt und schon eher danach verlangt, nicht zu schnell zu viel zu wollen. „Die Ziele müssen realistisch bleiben, es soll kein Luftschloss entstehen“, sagt Markus Salden. Das führt auch dazu, dass die Schule anfangs noch nicht inklusiv sein soll.
Als grundlegende Ablehnung gegenüber den Regelschulen soll das Projekt nicht verstanden werden. „Ich erlebe durch unsere Kinder engagierte Lehrerinnen und eine engagierte Direktorin“, sagt Marlon Dahlmanns, der selbst Lehrer an einer weiterführenden Schule ist. Der Erneuerungswille der Schulgründer bezieht sich auf das Schulsystem, nicht auf seine Akteure.
Die Amselschule soll nicht besser sein, sondern anders.