Ein Plädoyer für Ziele, Klartext und Werte
Kreis Heinsberg. Mit den Gangelter Wintergesprächen hatte der Vorstandsvorsitzende der Kreissparkasse Heinsberg, Horst Wiegand, in seinem Heimatort eine Gesprächsreihe vor geladenen Gästen aus der Taufe gehoben, die in einem Zirkel weit über den Kreis Heinsberg hinaus ihresgleichen suchte.
Von Wolfgang Clement über Paul Spiegel bis zu Kardinal Karl Lehmann, von Professoren über den Bundesbankpräsidenten bis zu renommierten Auslandskorrespondenten reichte das Spektrum der Referenten, die in den vergangenen Jahren den Weg in die Filialdirektion an der Sittarder Straße fanden.
In wenigen Wochen scheidet Wiegand aus dem Vorstand der Kreissparkasse aus und wird in den Ruhestand verabschiedet. So war die letzte Veranstaltung der sechsten Gangelter Wintergespräche am Mittwochabend zugleich der Abschluss dieser Reihe.
Worte des Dankes und viel Applaus galten Horst Wiegand für seine Initiative. In welcher Form die Gesprächsreihe eine Fortsetzung finden werde, sei noch nicht entscheiden, erklärte der zukünftige Vorstandsvorsitzende der KSK, Lothar Salentin.
Zum Abschluss der Gangelter Wintergespräche kam der stellvertretende Vorsitzende der CDU Deutschlands und Fraktionsvorsitzende der Union im Düsseldorfer Landtag nach Gangelt: Dr. Jürgen Rüttgers, der am 22.Mai das Amt des Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen erobern will, sprach über die Herausforderungen einer neuen sozialen Ordnungspolitik.
„Wir haben nicht nur ein Durchsetzungsproblem, sondern auch ein Erkenntnisproblem”, stellte Rüttgers eingangs fest. Drei große Herausforderungen nannte er: die Globalisierung, den Übergang von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft und das demographische Problem.
Unter dem Stichwort „Reue” blickte er kritisch auf die Politik in den letzten 25 Jahren zurück. Immer wieder sei ein neues Thema, ein neues Problem aufgegriffen, „die berühmte Sau durch das Dorf getrieben” worden.
Nach dem Tagesrhythmus Radiointerview, Tickermeldung, Widerspruch und TV-Zusammenfassung sei danach dann eine kleine Richtlinie oder Verordnung erlassen, ein Arbeitskreis eingerichtet, ein Förderprogramm aufgestellt oder ein Modellversuch betrieben worden. „Das Geld war da!” Doch angesichts der enormen Staatsverschuldung gehe das nicht mehr. „Uns gibt keiner mehr was!”
Rüttgers prangerte auch den Bürokratie-Dschungel an: „Warum brauchen wir so viele Regelungen?” Ordnungspolitik solle den Rahmen setzen, aber nicht alles bis ins Detail regeln. 30 Jahre lang sei versucht worden, alles bis ins letzte Detail zu regeln, „damit es gerecht zugeht”.
Doch die Gesellschaft sei dabei immer unsolidarischer geworden. So sei sie zwar gut organisiert, aber laut Rüttgers ist es „organisierte Unverantwortlichkeit”. „Jeder quatscht mit, aber keiner ist für das Ergebnis verantwortlich!”
Um Zukunft gestalten zu können, plädierte Rüttgers für Ziele („Wir müssen gemeinsam definieren, wo wir hinwollen!”), für Klartext („Wir müssen klar sagen, was Sache ist, was wahr ist und was falsch ist”) und für Werte („Bei bestimmten Dingen muss klar sein: Das tut man nicht!”)
Rüttgers sprach sich dafür aus, wieder zu vertrauen - den Lehrern, den Professoren, den Gewerkschaften, den Unternehmern. Lehrer zu sein, dies sei ein „verdammt harter Job”.
Es müsse aber das Ziel gelten, dass alle Schulabsolventen lesen, schreiben und rechnen können. Pünktlichkeit, Anstand und Fleiß gelte es auch in der Schule zu vermitteln, sagte er unter Hinweis auf die abgeschafften „Kopfnoten”.
Eine seiner Vorstellungen von eigenverantwortlichen Schulen: Schulleiter sollten nicht von Aufsichtsbehörden bestimmt, sondern von der Schulkonferenz auf Zeit gewählt werden.
Es gelte, Unterrichtsausfall zu vermeiden und das Ganztagsschulsystem auszubauen. Zudem müssten mehr Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren geschaffen werden.
„Wie viel wollen wir es uns denn kosten lassen, ein Sozialstaat zu sein?” Diese Frage müsse beantwortet werden, aber das Ergebnis müssten alle Menschen tragen können, damit klar kommen. Einen Grund, dass Deutschland notwendige Reformen nicht packen könnte, sieht Rüttgers nicht.
Die Nachkriegsgeneration habe beim Wiederaufbau harte Arbeit geleistet. Die heutige Generation habe es da leichter, auch wenn die Situation vielleicht etwas komplexer sei. Aber: „Wir sind immer noch ein reiches Land!”