Hückelhoven : Die Jugendkultur kennt keine Formeln
Hückelhoven „Man muss der Realität ins Auge schauen.” Das sagt sich so leicht. Und was, wenn junge Menschen sagen: „Wir haben eh´ keine Chance”? Wegsehen? Ihnen die rosarote Brille aufsetzen?
Die Verantwortlichen des Projekts „Heartbeat” tun gerade dies nicht, beweisen Umsicht.
Mindestens bis Mai wollen die Macher scheinbar chancenlosen Schülern Perspektiven aufzeigen. Absolventen der Förderschule Hückelhoven sollen im Rahmen eines Medienprojekts ihre Stärken ausleben, ausbauen.
Der Ansatz ist so simpel wie Erfolg versprechend. Das, was den im stigmatisierenden Behördendeutsch als „erziehungsschwierig, sprach- oder lernbehindert” eingestuften Schülern schwer fällt, fällt hier weg: das Lernen durch Nachmachen nämlich. Stattdessen wird ein Aspekt in den Mittelpunkt gerückt, bei dem den Jugendlichen keiner etwas vormachen kann: ihre eigene Kultur.
Agnes Bläsen-Jansen und Dirk Schulte praktizieren dies seit rund zehn Jahren erfolgreich in der weiteren Region - von ihrer Heimat Aachen bis Mönchengladbach. Mit ihrem medienpädagogischen Projekt „Bongo” verfolgen sie einen „an den Kompetenzen orientierten Ansatz”, wie Schulte erklärt.
Konkret heißt dies in Hückelhoven: Zwölf Neuntklässler der Förderschule kommen bis Mai einmal wöchentlich zusammen, um Songs zu komponieren, Texte zu schreiben und die Titel letztlich einzustudieren. Die Werkstatt zur musikalisch-kreativen Interpretation der jugendlichen Lebenswelten ist ein mobiles, digitales Tonstudio. Das baut „Bongo” in Hückelhovener „StadtWandel”-Büro auf.
„StadtWandel”, eine Initiative des Bistums Aachen, hat in den vergangenen zwei Jahren bereits eine ganze Reihe von Projekten angestoßen, wie dessen Leiter Wolfgang Huber berichtet.
Zwar laufe das befristete Engagement jetzt aus, doch hoffe er, dass „Heartbeat” ähnlich wie vorherige Aktionen - einmal angeschoben - künftig weiterlaufe. Jetzt wird sie erst einmal finanziell getragen von der Bistums-Regionalstelle Heinsberg, dem Stadtjugendring Hückelhoven und „StadtWandel”.
Hans-Leo Lowis, Leiter der Förderschule, zeigt sich hoch erfreut über diese Initiative. Gerade weil er weiß, wie genau seine Schüler um ihre schwierige Situation wissen. Weil er weiß, dass lediglich rund einem Viertel ein Abschluss gelingt. Die Zeiten hätten sich gewandelt. Früher, da habe die Zeche seine Zöglinge übernommen. Aber heute?
„Es macht keinen Sinn, den Schülern etwas vorzumachen”, sagt Lehrer Klaus Honisch. Und meint zweierlei: die Jobaussichten der Jugendlichen einerseits, das detaillierte Kennen ihrer Lebenswelt, ihrer Kultur andererseits.
„Die finden es relativ schräg, wenn ich sage, dass ich Eminem toll finde”, sagt er. Und dennoch: Berührungspunkte gibt es; sich emotional mit den Schülern auseinander zu setzen sei gerade an der Förderschule wichtig, sagt Direktor Lowis.
Dabei hilft dem engagierten Lehrerteam nun „Bongo”. Mit Musik sollen Schlüsselqualifikationen kreativ ausgebildet werden: verbale Ausdrucksfähigkeit, Teamfähigkeit, Selbstbewusstsein. „Eine Stabilisierung der Persönlichkeit, die hilft, auch mit Extremsituationen wie längerer Arbeitslosigkeit klarzukommen”, erklärt Schulte.
Extremsituationen, zu denen es gar nicht kommen müsste. Wenn Arbeitgeber beispielsweise sähen, zu was diese Schüler imstande sind. Zur Information: Im Mai werden die jungen Musiker bereits auf der Schulbühne stehen . . .