Wegberg/Wassenberg: Das Lager, die Chemikalie und die Angst

Wegberg/Wassenberg : Das Lager, die Chemikalie und die Angst

Bei Politik und Bürgern schrillen die Alarmglocken: Die Firma TLI, die im Wildenrather Gewerbegebiet angesiedelt ist und Gefahrstoffe lagert, hat einen Antrag auf Änderung des Bebauungsplanes und damit auch auf Änderung der zugelassenen Gefahrstoffe gestellt.

Um welche es sich handelt, wollte der Chef des Unternehmens, Carlo Knippenberg, auch nach mehrmaligem Nachhaken unserer Zeitung nicht sagen. Nur, dass es sich um „Chemikalien” handele, die „auch Bayer lagert” und dass sich bereits 180 Tonnen des Stoffs auf dem Gelände befänden. Wäre es nach Knippenberg gegangen, hätte er schon vor dem Jahreswechsel insgesamt 1000 Tonnen davon lagern können, aber daraus wird nichts. Vorerst.

Die Verwaltung der Stadt Wegberg hatte zwar dem Bauausschuss vorgeschlagen, dem Antrag zuzustimmen, „sofern (...) eine Gefährdungs- und Risikoerhöhung auszuschließen ist”, die SPD-Fraktion machte aber schnell klar: keine Ausweitung der Lizenz, keine neue Unruhe bei Anliegern aus Wildenrath und dem nicht weit entfernten Wassenberger Gebiet und keine Behinderung der Ansiedlung neuer Firmen im sogenannten Wegberg-Oval, dem ehemaligen Wildenrather Flugplatzgelände. Die FDP sprach sogar von einer „Giftküche sondergleichen”.

Der Ausschuss beschloss, dass der Antrag überarbeitet werden müsse.

Mehr noch: Der Ausschuss lehnte es ab, dass Knippenberg in der öffentlichen Sitzung das Wort erteilt wird, obwohl ihm das zugesagt worden war und dies sogar schriftlich in der Beschlussvorlage festgehalten ist. „Ein Vertreter der antragstellenden Firma wird die Einzelheiten in der Sitzung erläutern und für Rückfragen zur Verfügung stehen”, heißt es in dem Papier, das Bürgermeister Reinhold Pillich am 2. November abgezeichnet hat.

Dass einem Antragsteller in einem Ausschuss das Wort erteilt werden soll, ist sehr merkwürdig, um nicht zu sagen: nicht zulässig. Pillich bestreitet auch, dass dies vorgesehen gewesen sei. „Es gibt kein Rederecht für Antragsteller”, sagte Pillich unserer Zeitung.

Knippenberg sagt: „Die Art und Weise, wie das gelaufen ist, hat mich richtig wütend gemacht. Das kann man in China oder in Russland machen, aber nicht in Deutschland.”

Der Niederländer hatte früher ein Lager mit Feuerzeugen im niederländischen Echt. Als die Kapazitäten nicht mehr ausreichten, mietete er 1998 Lagerflächen der Firma TCE an. Irgendwann habe ihn der damalige TCE-Chef Karl-Heinz Geiger gefragt, ob er nicht Teilhaber von TCE werden wolle. „Ich hatte bei dem Gedanken kein gutes Gefühl”, sagt Knippenberg heute, aber das Lager und das Grundstück komplett zu kaufen, zog er in Erwägung.

Kein gutes Gefühl hatten damals, zur Jahreswende 2000/2001 auch viele Bürger, Umweltschützer und Politiker. Gegen TCE formierte sich Protest, als bekannt wurde, dass auf dem ehemaligen Flugplatz Gefahrstoffe gelagert werden sollten. Um die sogenannte Positiv-negativ-Liste, die im Dezember 2001 beschlossen wurde und festlegt, was auf dem Areal erlaubt ist und was nicht, wurde erbittert gekämpft. Aus gutem Grund. Anfang 2001 war bekannt geworden, dass sich in den Sheltern große Mengen von Knippenbergs Feuerzeugen befanden und dies aus Brandschutzgründen nicht zulässig war. Das Misstrauen war also nicht unberechtigt.

Kaum ein Jahr später ermittelte dann die Staatsanwaltschaft gegen TCE. Geiger hatte unter anderem Chlorgas illegal gelagert. Unmittelbar am TCE-Gelände führt die Teststrecke des Prüfcenters von Siemens vorbei. „Was ist, wenn mal ein Zug entgleist?”, fragten sich besorgte Bürger. Ganz davon abgesehen, dass der Weg zum Gelände durch Wildenrather und Wassenberger Bebauung führt. Was ist, wenn ein Lkw einen Unfall mitten im Stadtgebiet hat?

Mitte 2002 kaufte Knippenberg das Gelände und die Lagerhalle. Geiger blieb zunächst noch Geschäftsführer. Ein halbes Jahr später musste das Unternehmen Insolvenz anmelden. Seitdem hat sich nicht nur der Name der Firma in „Times Logistics International” (TLI) verändert. „Mit TCE hat TLI nichts mehr zu tun”, sagt Knippenberg. Ein Bürogebäude und eine neue Halle, „wo jeder der 15 000 Stellplätze einen Sprenklerkopf hat”, habe er bauen lassen, drunter befänden sich spezielle Wannen und die alten Hallen seien inzwischen renoviert. Die seien alle sicher und schließlich sei auch die freiwillige Feuerwehr nicht weit und die mache regelmäßig Übungen auf seinem Gelände.

Feuerzeuge lagert Knippenberg immer noch, aber längst nicht mehr - wie früher - 460 Millionen, sondern nur noch 65 Millionen. Außerdem „Fahrzeugteile und Zubehör für die Fleischindustrie”. Und eben besagte 180 Tonnen des Stoffs, den auch Bayer lagert, den er aber nicht nennen will. Dass Bayer eine eigene Werksfeuerwehr hat und nicht auf die freiwillige Feuerwehr von Wildenrath zurückgreifen muss, sagt Knippenberg nicht.

Der Kunde, der die Chemikalie anliefern wollte, sei inzwischen abgesprungen, sagt der Geschäftsführer. Dennoch wolle er von seinem Antrag nicht abrücken, da er Kapazitäten frei habe und sicherlich bald andere, nicht näher genannte Kunden Interesse bekunden würden.

Bürgermeister Pillich sagt, dass er sich vor Antragstellung das Unternehmen angeguckt habe, dabei habe ihm Knippenberg auch von seinen Zukunftsängsten berichtet. Er habe ihm erklärt, wie das Verfahren bei dem Wunsch sei, mehr Stoffe als bislang erlaubt zu lagern. Er wisse nur, dass es sich um wassergefährdende Stoffe handelt.

Knippenberg hatte sich erhofft, das schon bis Jahresende durchzubekommen, da aber der Bauausschuss in diesem Jahr nicht mehr tagt, ist das hinfällig.

„Ich wundere mich, dass Herr Knippenberg sich das so einfach vorgestellt hat”, sagt Pillich, schließlich müsse er ja um die Brisanz des Themas wissen. Viele Bürger fühlen sich in die Zeit vor rund zehn Jahren zurückversetzt. Knippenberg ist das auch bewusst. Er meint aber, die Aufregung, die nun entstehe, käme von „Leuten, die nicht wissen, worum es geht und die auch nicht fragen”.

Gefragt hat der Bauausschuss der Stadt Wegberg. Er will die Liste der Chemikalien. „Das ist der erste Schritt, danach wird entschieden”, sagt Pillich.

An der Abstandsregelung - also den Abstandsgrenzen zur Bebauung bei der Lagerung besonderer Stoffe - werde nicht gerüttelt, so der Bürgermeister weiter. Und: „Wir müssen alles dafür tun, das so transparent wie möglich zu machen. Das sind wir den Bürgern schuldig.” Er weiß, wovon er spricht, vor zehn Jahren, als über die Positiv-negativ-Liste debattiert wurde, war er Vorsitzender im Bauausschuss.